Vergeben heißt nicht, dem Täter einen Gefallen zu tun. Im Kern geht es mehr darum, der Versuchung zu widerstehen, den Täter gefangen zu halten. Eine Versuchung, die gleichzeitig eine Illusion ist. Denn wenn wir den Täter einsperren wollen, sperren wir in Wirklichkeit uns selbst ein. Wut und Zorn sind dabei die leitenden Gefühle.
Heilungsimpulse können auf somatischer, psychischer oder geistiger Ebene geschehen. ZB durch sportliche Betätigung oder Rituale. Oder. Das Selbsteingeständnis, dass wir verletzt, schikaniert oder gedemütigt wurden und dass Ärger zum Menschsein gehört und daher völlig legitim ist. Unsere Wahrheit und unseren Ärger jemandem erzählen. Das Aussprechen von Fluchpsalmen, ein inniger Schrei allein im Wald, aber auch die kreative Verwandlung von Wut in Handlungen, die das Leben stärken. Auch das „Sich-selbst-Vergeben“, also das Eingeständnis, dass ich ebensowenig perfekt bin wie der Täter. Erst danach kann darunter liegende Trauer oder Furcht zum Vorschein kommen und verwandelt werden.
Letztlich geht es ums Loslassen bzw. „So-sein-Lassen“ und gleichermaßen um das Überwinden der inneren Versuchung, über den Täter herrschen zu wollen. Diese – meist entscheidende – geistige Dimension von Vergebung hat Edith Eger so formuliert: „I have life to live and work to do and love to share. I don’t have time to hold on to the fear or anger or shame anymore.“ (Edith Eger, The Gift) Bei Golda Meir klingt dieselbe geistige Wegleitung so: „Peace will come when the Arabs will love their children more than they hate us.“